18.11.2011 - 14.1.2012
frische berliner - positionen junger berliner fotografen und fotografinnen - kaspar berner, robert beyer, lina ruske, lisa santarelli
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Gespräch mit Kaspar Berner 4. September 2011
F: Kannst du dich erinnern, wann du angefangen hast, dich für Fotografie zu interessieren?
K: Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind viel und gerne durch den Sucher der Kamera meines Vaters geschaut habe. Fotos habe ich nie gemacht.
F: Das hat dich fasziniert?
K: Ja, aber ich wollte nie eine Kamera. Mein Bruder hatte eine Tomato, so eine rote Plastikkamera mit einer Tomate drauf. Erstmals eine Kamera benutzt habe ich dann beim Malen, um die Sachen zu fotografieren. Den ersten Film hatte ich aus Versehen nicht eingespannt und dann war nichts drauf. Ich ging ins Stundenlabor und war so gespannt. Ich hatte extra mehr bezahlt, weil ich die Fotos sehen wollte, und dann war da nichts drauf...Das war eigentlich so der Anfang, ich wollte die gemalten Sachen fotografieren. Das war mehr eine Dokumentation.
F: Da war dir eher die Malerei wichtig?
K: Ja, die Fotografie war eine Erinnerungshilfe für die Zeit des Malens. Es war mir wichtig, dass der Moment während des Malens wieder spürbar wurde.
F: Ist das Fotografieren auch ein solcher Prozess? Ich meine, es geht natürlich schneller. Aber dass der Moment wichtig ist?
K: Der Moment ist schon wichtig aber bei der Fotografie ist mir das Ergebnis wichtiger.
F: Dass es aus dem erlebten Moment dann etwas Neues gibt?
K: Ja, und man gar nicht weiss, wo es entstanden und was es ist. Beim Auswahlprozess gibt es oft Dinge, die für mich rausstechen und es löst sich auch für mich ab, wo es ist. Obwohl ich weiss wo es ist, hat es die Kraft, diese Ortung zu verlieren.
F: Dass dir das wichtig ist, dass das Bild die Kraft hat, den realen Ort zu überwinden?
K: Dass es zur Ikone wird, zu einem Bild, wirklich etwas Universelles hat, etwas Zeitloses irgendwie. Dass es die Chance hat, etwas Neues zu werden. Das hat es oft nicht, wenn es zu viel darum herum hat.
F: Weil es dann identifizierbar bleibt?
K: Durch das, dass man es verorten kann, kommt mehr dazu, als eigentlich da ist. Das ganze Wissen darüber kommt mit rein, alles, was man weiss übers Drumherum kommt mit rein. Ich habe das Gefühl, dass dann das Bild verhindert wird. Dass etwas mein Bild wird, ist wichtig, es ist einfach auch ein mir Aneignen.
Das Fotografieren macht Spass, ich mache es gerne, aber es ist ein Mittel, um zum Bild zu kommen. Manchmal ist es auch eine Überwindung, es einfach zu machen, auch wenn es ungünstig ist. Wenn das Bild kommt, muss man bereit sein, es zu machen, damit man es hat. Es geht auch darum: Ich möchte auch auf einer Stufe sein mit dem Betrachter. Alles was dieser sieht, ist das Bild und deshalb zählt auch nur das. Nicht wie es entstanden ist. Auch wenn man es für sich selber macht, schlussendlich macht man das Ganze für jemanden.
F: Dass es ein Überwinden ist zum Fotografieren, weil etwas betrachtet werden soll?
K: Ja, geht es um die Anderen. Es ist schon auch für mich, es ist auch ein sich Aneignen. Etwas das ich fotografiert habe, das besitze ich auch in einer gewissen Form, es ist ein Aneignungsprozess, ein Sammeln auch, so eine Form von emotionalem Materialismus, fast wie Glaube, ein Widerspruch, es trifft ganz gut auch für die Fotografie zu, eine Art spiritueller Materialismus eigentlich.
Ich habe immer gedacht, ich sei eigentlich nicht materialistisch, aber ich merke schon so eine spirituelle Verbundenheit auch zu Objekten, zu Steinen zum Beispiel, zu einem Bild, zu gewissen Produkten. Andere Leute sammeln Platten oder Briefmarken oder so, ich sammle Bilder. Ich habe ja nicht gross Ordnung, aber es ist auch eine Art Katalogisierung. Mehr im Kopf. Manchmal ist das auch wie eine Belastung, die vielen Negative die ich habe, aber gleichzeitig ist es auch ein Schatz. Und es ist auch so, dass Bilder, die jetzt nicht so gut sind, ihren Wert haben, halt im Negativ. Ich würde nichts wegschmeissen.
Ich möchte ein Werk schaffen, das bleibt und andere auch wieder inspiriert, das in Dialog tritt mit anderen Künstlern, dich mich inspirieren. Eine Antwort geben auf andere.
F: Was würdest du denn sagen, was dich inspiriert?
K: Was mich durch meine Herkunft geprägt hat, ist das Bauhaus, der Futurismus auch. Dann die 50iger Jahre. Eine gewisse Abstraktheit, Schlichtheit. Viel Architektur. Konsequenz im Gestalterischen. Eine gewisse Radikalität, Ausgewogenheit, Nüchternheit.
Es ist mehr wie ein unscharfes Bild, das ich habe von einer Art Fotografie, von der ich gar nicht sicher bin, ob es sie überhaupt gibt (lacht). Ein Gemisch von ein paar Sachen, die ich sah, als ich jung war. Vielleicht, ich bin gar nicht sicher, ist es ein Bild, ein Buch, ein Traum. Ich weiss selber nicht so genau, was ich gut finde, es ist mehr eine Suche nach so einem diffusen Ideal.
Es baut irgendwie auf einem Teil der deutschen Fotografie auf, die Art von Ästhetik. Was mich sicher inspiriert hat, sind die Polaroids von Walker Evans. Die fuhren mir richtig ein, als ich die das erste Mal sah. Sonst ist es eher eine Vermengung von Einflüssen. Leute die mir wichtig sind, sind solche, von denen ich annehme, dass sie etwas Ähnliches vorantreiben, durch die ich wieder für meine Arbeit lerne.
Bei den Japanern finde ich spannend, was sie mit dem Medium Buch machen. Sie nehmen die Dinge selber in die Hand. Sie sind kreativer, konsequenter. Haben eine Modernität, die mir gefällt.
Ich mache oft Fotos, die aussehen, als wäre es woanders. Vielleicht ist es auch so, dass ich versuche, Ideen zu übertragen von anderen Formen, Gestaltungsideen als der Fotografie. Versuche von einem Musikstück Ideen zu nehmen, von Filmen, Grafik, Malerei, das Übersetzen dieser Ideen von anderen. Aber meist ist es so: Ich sehe ein Bild, das ich dann mache oder ich sehe etwas und muss es haben und dann versuche ich ein Bild zu machen. Das passiert intuitiv und macht mich dann auch glücklich.
Ich versuche auch immer wieder mich zurückzunehmen, nüchtern zu sein.
F: Was meinst du mit nüchtern?
K: So von vorne, so ein bisschen dokumentarisch (lacht). Mich zurücknehmen, um der Sache mehr Raum zu geben.
Nochmals zurück zu meinen Anfängen. Als erstes haben mich eher andere Leute auf mein Talent, was das Bildnerische betrifft, aufmerksam gemacht, ich habe mir da nie gross etwas dabei gedacht. Schlussendlich fotografiert ja jeder. Als ich mich dann für Fotografie zu interessieren begann, habe ich immer so kleine Büchlein gekauft, viele davon, ich wusste gar nicht, was mir eigentlich wirklich gefällt. Da ist mir Eugène Atget aufgefallen. Das ist es, was ich so mit dokumentarisch meine, das Zeug festhalten, das verschwindet. Bei ihm ist schon sehr schön, wie man Paris sehen kann, wie es war und wie er erlebte, wie es sich verändert hat. Das ist schon auch ein wichtiger Teil. Mir gefällt es, Sachen wieder zu fotografieren nach ein paar Jahren.
F: So Chronist sein auch?
K: Ja, da hat mich dann auch Emil Baumer, mein Ururgrossvater, in die Richtung gelenkt. Von ihm habe ich vor etwa zehn Jahren erfahren. Er hat ziemlich genau hundert Jahre vor mir fotografiert. Ich meine, technisch war ich ja immer eher ein Dilettant. Mich beeindruckt, was die Pioniere – Baumer war ja auch noch ziemlich früh – alles können und wissen mussten, wie kompliziert alles war. Was die für Kameras hatten und was für tolle Bilder sie machten.
F: Und du gehörst jetzt zu einer Generation, die die Dunkelkammer kaum mehr benutzt.
K: Ich bin auch froh darum. Ich bin halt mit dem Computer aufgewachsen, bin gewohnt, darauf zu arbeiten, ich sehe da überhaupt keinen Nachteil.
Das Technische ist wichtig, dass man es kann, dass man weiss, was es macht, dass man es für sich nutzen kann. Ich bin heute froh darum, dass ich eine Grossformatkamera benutzen kann, aber es interessiert mich nicht gross. Ich mache eigentlich alle Fotos mit einer Kompaktkamera.
Ich sehe keinen Grund für mehr Technik. Alles an Technik steht zwischen mir und dem Bild. Eigentlich ist mir einfach der Ausschnitt wichtig. Meine Bildbearbeitung besteht aus den selben Schritten, wie bei jemandem, der im Labor arbeitet. Das ist schon interessant, ich verweigere mich zwar der Dunkelkammer, ich benutze aber nicht mehr Möglichkeiten. Farbkorrektur und Kontrast im Bildbearbeitungsprozess, obwohl ich ganz andere Möglichkeiten hätte. Aber für mich verliert das Bild sofort etwas. Am Anfang nahm ich noch Ausschnitte, heute nicht mehr. Wenn es nichts ist, dann ist es nichts.
F: Wieso findest du das wichtig?
K: Eine gewisse Härte sich selber gegenüber ist einfach wichtig. Ich weiss auch nicht, es hat etwas mit Wahrheit zu tun, obwohl eine Fotografie ja immer auch eine Lüge ist. Es ist etwas Emotionales: sobald ich das Bild verändere, gefällt es mir nicht mehr, es stimmt dann etwas nicht mehr, es sah vorher besser aus. Man hat sich anzustrengen und das Bild recht zu machen und wenn es nichts geworden ist, muss man weiter machen.
Es ist auch ein gewisser Zufall. Dadurch, dass ich nicht mit einer Spiegelreflexkamera oder einer Profikamera fotografiere, ich nie 100% sehe, weiss ich ja nie, was es genau wird. Auch ob es gerade ist, sieht man bei einer Sucherkamera nicht. Bei einer Kamera, die ich gut kenne, muss ich gar nicht durch den Sucher schauen, das Auge und der Körper machen die Fotografie.
Schlussendlich ist das wichtigste, dass man sieht. Man kann noch so gute Bilder machen wollen, man muss sie einfach sehen.
F: Mich würde auch noch dein Bezug zum Buch interessieren, der scheint mir doch wichtig in Bezug auf deine Fotografie
K: Es ist irgendwo eine Mischung für mich zwischen einem Film und einem Roman, so etwas Visuelles. Gleichzeitig ist es weniger linear als ein Film. Es ist vielleicht auch weniger linear als ein geschriebenes Buch, man kann vor- und zurückblättern. Es funktioniert in jede Richtung. Ich versuche schon, etwas zu erzählen. Aber ich weiss nicht, was die andern verstehen. Ich möchte keine Anleitung dazu geben. Wenn man nicht alles ausformuliert, hat ja der Betrachter die Möglichkeit, etwas zu entdecken und wenn er nicht das sieht, was ich sehe, sieht er etwas anderes und das ist genau so richtig. Ich will eigentlich niemandem sagen, was es ist.
F: Wie kommst du zur Abfolge der Bilder in den Büchern?
K: Ich habe das Gefühl, es gibt nur einen Weg und den muss ich finden, das ist irgendwie vorprogrammiert. Natürlich geht es vielleicht auch anders, aber die fertige Folge im Buch bleibt für mich. Es ist etwas Abgerundetes, etwas, das Sinn macht. Es gibt dann Tage, da finde ich, es macht gar keinen Sinn, dann doch wieder.
Ich brauche manchmal schon einen Abstand, auch um auf eine gewisse Art zum Betrachter zu werden. Es ist sicher nicht das Gleiche, wie wenn man ganz aussen steht, aber mit ein bisschen Abstand kann man es eher als Betrachter denn als Macher wahrnehmen. Wenn es für mich auch Sinn machen soll, brauche ich die Distanz manchmal. Wenn ich es immer nur mit allem drum herum anschaue, das ich weiss, dann funktioniert das nicht.
Durch ein Buch kann man eine gewisse Zeit und geografische Zusammenhänge schaffen und man kann durch das Zusammenfügen von starken Einzelbildern nochmals etwas Neues erschaffen. Dieser Prozess gefällt mir und ist näher bei der Malerei. So quasi am Tisch etwas kreieren. Es gilt Bilder zu finden, die inhaltlich, aber auch formell passen; aus Ausschnitten, eine Fotografie ist ja immer ein Ausschnitt, etwas Grösseres erschaffen, ohne das Einzelne zu stören. Für das braucht es einfach die Bilder. Für das überwinde ich mich immer wieder, die Kamera hervorzuholen, auch wenn ich irgendwo hin muss. Wie man zum Kochen Zutaten braucht, brauche ich Zutaten, um dann das Buch zu machen. Das Ganze hat eh viel mit Kochen zu tun. Auch hier ist es ein Sammeln, um nachher etwas Neues zu machen.
Gespräch mit Lina Ruske am 15. 9. 2011
F: Kannst du dich erinnern, wann du begonnen hast, dich für Fotografie im Speziellen zu interessieren?
L: Ja. Ich weiss auch, was das erste Bild war, das ich als tatsächliches Bild empfunden habe und welches das war.
F: Welches war das, wann?
L: Das war an der Ostsee, ein Urlaub mit meinen Eltern, ich war so 16, fotografierte damals in schwarz-weiss. Ich habe meine Mutter – es war Winter – in einem ganz langen schwarzen Mantel fotografiert. Sie steht mit dem Rücken zu mir, trägt eine Art russische Mütze, aber keine Schapka, sie wirkte nur so. Ich habe einen Blick, der stark von unten kommt und sie steht da am Strand und das Meer ist im Hintergrund, am Horizont die Seebrücke von Heringsdorf, glaube ich. Zu der Zeit hatte ich gerade mit einem Foto-Kurs in der Jugendkunstschule begonnen. Dort konnte ich dann selber die Bilder vergrössern und dieses Bild ist das erste, von dem ich wusste: Das ist ein Bild.
F: Dann hat dich die Fotografie doch schon vorher interessiert, eigentlich?
L: Als ich noch in der Schule war, wollte ich irgendwann mal Filme machen, also eigentlich wollte ich erst Schauspielerin werden, dann wollte ich Regisseurin werden, dann habe ich gemerkt, was man alles braucht für einen Film – das war mir zu viel. Bei uns zu hause im Schrank lagen die alten Kameras meiner Eltern, darunter eine Exa 1a. Bei der musste man noch von oben über eine Mattscheibe durch das Objektiv gucken, alles spiegelverkehrt. Wieder Ostsee, wieder mit meinen Eltern, nur früher. Die Kamera war wunderschön, nur leider hat sie den Film nicht mehr richtig transportiert und ich wusste auch noch gar nicht, wie man mit Blende und Belichtungszeit arbeitet. Der erste Film war also eher für die Katz. Dennoch, es waren Bilder drauf. Und ich hatte Lust bekommen. Zum 16. Geburtstag und Weihnachten zusammen habe ich dann eine eigene Canon Spiegelreflexkamera bekommen. Und dann während der drei letzten Schuljahre diesen Kurs in der Jugendkunstschule belegt, im Schwarz-weiss-Labor gestanden und gemerkt, dass das das Beste ist, was es gibt (lacht).
F: Das war so eine Liebe auch zu dem Technischen, zur Dunkelkammer?
L: Zur Dunkelkammer vor allem. Dieser Prozess, das ist Wahnsinn. Ich weiss auch noch ganz genau, wie ich den ersten Film entwickeln sollte und den Negativstreifen nicht in die Spule eingeschoben bekommen habe. Mein Lehrer musste mir helfen im absoluten Dunkeln. Man sieht wirklich gar nichts, muss alles ertasten, das ist eine unglaublich sinnliche Erfahrung. Ja, meine Sinne haben sich so geschärft durch diese Arbeit. Und das Technische, wie die Kamera funktioniert und so weiter, interessiert mich eigentlich nicht. Ich muss nur wissen, dass sie funktioniert. Aber im Labor zu stehen, gibt mir eine ganz tolle Ruhe, das mache ich nach wie vor.
F: Hast du eine Kamera, die dir besonders liegt?
L: Ja, es sind aber drei. Kleinbild fotografiere ich mit der Nikon FM2, so ein Urgestein, das in der Wüste und am Nordpol genauso funktioniert – sagt man –, dann habe ich eine 2-äugige Yashica, 6 mal 6, bei der man oben reinguckt. Mit der habe ich begonnen, im Mittelformat zu fotografieren. Seit einem halben Jahr kann ich in der Schule die Mamya 7 ausleihen, eine 6 mal 7. Dieses Format ist gerade mein Lieblingsformat. Die Bilder bekommen ein besonderes Eigenleben, das Geschichten erzählt, bald wie Filmstills – wo ich wieder zum Film komme… Ja also, das sind die analogen Kameras, die mein Herz hüpfen lassen (lacht).
F: Das ganze analog Fotografische, Entwickeln, Vergrössern, so das Bild bekommen, das ist so wichtig für dich?
L: Ja, vor allem die Arbeit in der Dunkelkammer, der Prozess, ist ganz wichtig. Im Labor habe ich diesen kleinen, dunklen Raum, darf alleine sein. Die Arbeit schärft meine Sinne. Ich habe vor etwas mehr als 2 Jahren begonnen, Farbe zu vergrössern und kann seither nicht mehr durch die Welt gehen, ohne Farben nicht extrem wahrzunehmen; diese ganz kleinen Nuancen, die man lernt zu sehen, das macht mich glücklich. Es ist tatsächlich auch eine emotionale Entscheidung, in der Dunkelkammer zu arbeiten, um das Bild zu bekommen, das ich will. Der Prozess, neue Filme zu kontakten, mit der Lupe zu entdecken und dann von ausgewählten Bildern Arbeitsabzüge in ca. 24 /30 zu printen, ist essentiell. Ich brauche eben das Foto in der Hand, muss es auf den Tisch legen können, die Bilder nebeneinander legen, sie herumschieben, um zu sehen, was passiert. Am Bildschirm hingegen passen höchstens drei Bilder nebeneinander, dazu sind sie viel kleiner und nicht richtig greifbar. Ich kann für ein Bild drei Tage brauchen, wenn ich in der Dunkelkammer stehe. Aber im Grunde ist es derselbe Zeitaufwand wie wenn man es ordentlich am Bildschirm macht.
F: Und wie kommst du zu deinen Bildern?
L: Du meinst den Moment, in dem ich fotografiere?
F: Ja, was dich antreibt, was dich interessiert.
L: Meine Fotografie ist tatsächlich immer an meinem Leben und aus meinem Leben und bei meinem Leben. Die Arbeit bedeutet für mich eine Möglichkeit zu verstehen, was um mich herum passiert. Vor allem interessieren mich zwischenmenschliche Beziehungen. So sind es hauptsächlich Freunde, die ich fotografiere und Momente, die wir zusammen erleben. Die Fotografie lässt mich sehen.
F: Was denkst du, was sie dich sehen lässt?
L: Was da wirklich passiert, dazwischen, zwischen uns und um uns herum. Dazu kommen meine Selbstporträts, die eine wichtige Rolle spielen, um mich zu verorten Meine Arbeit ist sehr persönlich und auch tagebuchartig, aber nicht privat. Zudem halte ich die Themen wie Identität, Beziehungen, Freundschaft für die spannendsten Themen.
F: Wie kommst es dazu, dass es dann nicht privat ist, was passiert dort?
L: Es ist dieser Kippmoment. Privat sind jene Bilder, die keine Bilder sind, nicht als Bilder funktionieren. Die auch bei mir entstehen, die ich aber nicht zeige. Es muss ein Bild sein, das für sich funktioniert. Ausserdem will ich es schaffen, dass sich ein bestimmtes Gefühl auf den Betrachter überträgt, ihn zum Nachdenken bringt, über unsere Zeit, und darüber, was junge Leute gerade erleben. Meine Freunde sind die Personen, mit denen ich mich austausche, wir stellen uns die gleichen Fragen – klar sonst wären sie nicht meine Freunde – ich arbeite also auch mit ihnen. Sie sind, wie ich selbst auch, verfügbar und bilden mein Archiv, das Autobiographische wird zur Methode, die Welt, in der wir leben, zu reflektieren. Die grossen Fragen stehen im Raum: Einerseits ist da der Drang der Selbstverwirklichung, ein Freiheitsdrang, der die Einzelperson so wichtig macht. Gleichzeitig soll man überall und immer verfügbar sein. Dazu sehnen wir uns alle aber nach Geborgenheit und Liebe und Zweisamkeit und Zusammensein und fragen uns, wie soll denn das zusammenpassen? Es gibt so viele Möglichkeiten. Und entscheiden will sich keiner mehr.
Ich weiss ganz genau, dass sich mein Blick auf die Gruppe von Menschen einer bestimmten Gesellschaftsschicht richtet. Wir haben einfach keine existenziellen Probleme und deshalb haben wir diesen „Luxus“, uns mit solchen Problemen auseinanderzusetzen: wer wir sind und wohin es geht.
Und noch dazu glaube ich, dass es mit Berlin zusammenhängt, weil die Stadt einfach so gross ist und so viele Wege ermöglicht, ständig eine neue Kreuzung.
F: Verstehe ich das richtig, dass du den Anspruch hast, mit deinen Bildern etwas zu zeigen, das allgemeiner ist, über diese Gruppe hinausgeht?
L: Über die Gruppe meiner Freunde definitiv. Allein zu sehen, was uns zum Beispiel unsere Eltern vorgelebt haben oder wie sie gelebt haben. Bei uns war es zumindest so, dass man sich viel leichter füreinander entschieden hat, den Weg miteinander gegangen ist. Ich bin in einer Bilderbuchfamilie aufgewachsen und jetzt sehe ich aber, so funktioniert es jetzt gerade nicht und was ist denn da eigentlich los und wieso sind wir denn so unfähig uns zu entscheiden?
F: Wie denkst du, dass du das bildnerisch zeigen kannst?
L: Die Dokumentation meines Umfeldes spiegelt diese Fragen, das ist zumindest die Aufgabe. Es müssen Bilder sein, die zeigen, was zwischen Menschen passiert und dass etwas in ihnen vorgeht. Die Bilder sprechen am Ende miteinander und bestenfalls mit dem Betrachter.
F: Wie spürst du, dass das jetzt so ein Bild sein könnte?
L: Die Portraits meiner Freunde entstehen in sehr intensiven Momenten, spiegeln uns, unser Sein, mich. Auch ein narzisstischer Akt ist dabei unumgänglich. Die Definition meiner Person als Protagonist eben dieser Zeit. Dazu geht es mir immer darum, eine Intensität vom Leben festzuhalten, es ist für mich auch ein Greifen nach etwas Intensivem.
F: Ist es denn so, dass du das so empfindest, wenn du das Bild machst?
L: Ja genau. Der Drang nach absolut bewusstem Lebendigsein treibt mich an.
F: Und dann siehst du nachher, das habe ich tatsächlich so getroffen?
L: Ja. Und manchmal überrascht es mich, wenn die Bilder dann noch konkreter als der ganze Moment aussen rum sind, weil es nur dieser kurze Minimoment ist, der im nächsten Augenblick schon wieder ganz anders sein kann. Auch das bedeutet für mich Fotografie.
F: Wie empfindest du das mit dem Draussen und Drinnen – das ist jetzt noch schwierig zu formulieren – es ist ja doch ein Schritt, aus einer Interaktion zur Kamera zu greifen?
L: Die Kamera gehört zu mir und wenn ich ein Portrait mache, kommuniziere ich den Moment deutlich, zeige meinem Gegenüber meine Begeisterung, Irritation oder Bewunderung. Ich lasse uns Zeit. Der Minimoment wird zum Moment, den ich vielleicht zusätzlich irgendwie auflade … Sobald ich das Bild vergrössert habe, ist ein bestimmter Abstand da. Es ist dann auf dem Bild. So auch mit den Selbstportraits.
F: Was gibt es für wichtige Einflüsse für deine Fotografie? Künstlerisch, formal?
L: Bei der Fotografie sind es ganz klar die grossen Namen wie Nan Goldin, Juergen Teller, Sybille Bergemann, Wolfgang Tilmanns, aber auch Stephen Shore oder Mitch Epstein, deren Bildsprache ich einfach liebe, deren Strömung Einfluss auf eine neue Generation von Fotografie hat.
Dazu haben meine Eltern an der Kunsthochschule studiert, wir hatten immer Kunstbücher zu Hause. Viel Malerei. Ich habe schon ganz früh Gauguin geliebt, der ja auch seine Frauen gemalt hat und damit subtile Momente der Lebendigkeit und des Lebens festgehalten, gleichzeitig seine Zeit reflektiert hat. Vielleicht hat mich das irgendwie beeinflusst. Auch, in jedem Familienurlaub in Gemälde-Galerien zu gehen, mit meinem Papa Prinzessinnen zu malen oder wie er mir russische Märchen vorlas, grossartig, mit verstellter Stimme für die verschiedenen Rollen...diese ganze Lebendigkeit, die um mich herum passierte. Kunst Theater und Kino sowie Ästhetik haben immer eine Rolle in meinem Leben gespielt.
F: Dass du eigentlich Kunst mit Lebendigkeit gleichsetzt?
L: Das bedeutet das Leben...
F: Und jetzt bist du nach Zürich gekommen?
L: Ja, aus ganz praktischen Gründen eigentlich. Ich habe in Potsdam Kommunikationsdesign studiert, hatte eine ganz wunderbare Professorin, Wiebke Loeper, und wusste, ich will Fotografie machen, so bin ich als Erasmusstudentin nach Zürich gekommen. Die Erfahrung, sich ein Semester lang nur mit der Fotografie beschäftigen zu dürfen, das war der Wahnsinn. Ich wusste, ich muss bleiben. Es war zwischendurch auch ganz schön hart: Meine Freunde sind in Berlin und die machen meine Arbeit aus und nun war ich hier, konnte Fotografie machen aber eigentlich fehlte der Inhalt.
Ausserdem ist es eine riesen Herausforderung, weil ich mich nun die ganze Zeit mit meinen Bildern beschäftige. Sonst war es immer das Goldstück und jetzt ist es die ständige Konfrontation mit der eigenen Arbeit, immer noch konkreter werden. Und wenn man seine Bilder ständig sieht, weiss man zwischendurch nicht mehr, ob die Bilder jetzt so gut sind wie man denkt, ob das funktioniert, was man da versucht, ob es überhaupt einen Sinn hat. Das ständige Hinterfragen der eigenen Arbeit. Aber so ist es auch gut: Es bedeutet eine Entscheidung für die Fotografie und das mit aller Konsequenz durchzuziehen. – Darauf habe ich Lust.
Gespräch mit Lisa Santarelli am 21. September 2011
F: Wie bist du zur Fotografie gekommen?
L: Ich habe eigentlich immer fotografiert, aber eher aus Spass. Ich habe Kunst studiert und da habe ich mich mit vielem beschäftigt, nicht aber mit Fotografie. Dann bin ich mit einem Stipendium von Erasmus nach Berlin gekommen, also weg von zu Hause, und da brauchte ich etwas, das ich überall machen konnte. Fotografie war da eine Möglichkeit. Ich dachte zuerst, als Job Fotografie zu machen. Dann sah ich, Fotografie kann man auch für die Kunst benutzen. Und seit ich in der FAS (Fotografie am Schiffbauerdamm) war, habe ich mich dann auf die Kunst konzentriert. Am Anfang habe ich Praktikas gemacht bei Modefotografen, weil ich mich auch für Mode interessiert habe. Aber ich musste irgendwie etwas von mir erzählen und die Fotografie ist ein wunderbares Mittel um Geschichten zu erzählen. Es wurde immer klarer für mich, dass ich die Geschichte meiner Kultur erzählen und dies künstlerisch weiterbringen wollte. Ich lebe nun sei zehn Jahren in Berlin und seither habe ich meine Kultur mehr von aussen gesehen, zum ersten Mal eigentlich richtig gesehen. Und dieses etwas sehen, das du zuvor nicht gesehen hast, das hatte ich Lust zu fokussieren.
F: Deine Arbeit ist so entstanden: Einerseits durch die Wahl des Mittels der Fotografie und durch das Wegsein von zu Hause, von Italien?
L: Genau, das hat sich so entwickelt. Da war dieser Wunsch, meine Kultur auf einer privaten Ebene zu zeigen.
F: Schaust du das auch als dokumentarisch an?
L: Ja, es sind intime Bilder aber sie haben auch etwas dokumentarisches.
F: Im Sinne von Zeigen, indem du das zeigst, ist es auch ein Stück ein Dokument?
L: Ja schon, es sind schon auch Dinge, die typisch bei uns sind: die Oma, die wartet, Bilder vom Dorf, eine Tischdecke...
F: Ja, du gehst ja nahe dran.
L: Es ist meine direkte Erfahrung, dieses Weg-von-zu-Hause-sein. Bei uns geht niemand weg, das ist für uns überhaupt nicht normal. Das war krass, für mich und meine Familie, diese Erfahrung. Wie das meine Grosseltern erlebt haben, meine Eltern, diese ganze Veränderung auch der Kommunikation. Irgendwann habe ich dann versucht zu meiner Arbeit auch einen Text zu schreiben, Anekdoten, die diese Fernbeziehung erzählen.
Zur Arbeit, die ich hier ausstelle gehört eben auch ein Buch. Ich habe dreieinhalb Jahr gebraucht um einen Verleger zu finden. Ich hatte schon aufgegeben und dann habe ich einen Verleger aus Ravenna, meiner Stadt, kennengelernt und der hat es dann herausgegeben. Ich habe mir selber einen Sponsor gesucht und wir haben Glück, dass wir ganz viele verkauft haben. Das Buch ist ganz schön geworden und ich bin an viele Festivals gereist um es zu zeigen und ich habe verschiedene Buchpräsentationen organisiert in Italien und in Berlin.
Als ich das Buch in Italien in meinem Dorf präsentiert habe, da haben viele Leute geweint, weil viele sich in meiner Geschichte wiederfinden konnten.
F: Es spricht etwas Privates, etwas Intimes an, aber auch etwas allgemein Gültiges?
L: Ja das ist superwichtig, sonst bleibt die Arbeit zu privat. Und dann kam aber auch noch dazu, dass ich ein paar Bilder weitergezeichnet habe. Ich habe als Kind immer gezeichnet. Ich vergrössere alle Bilder selber im Labor und weil der Prozess so langsam ist, habe ich aus Langeweile angefangen zu zeichnen. Da habe ich gemerkt, dass ich durch diese Zeichnungen die Möglichkeit habe, Distanz zu zeigen. Es sind nicht viele, bei denen ich das mache. Aber bei manchen, bei denen der Fokus richtig ist, kann ich Objekte weiterzeichnen. Das war für mich dann so der letzte Teil dieser Arbeit: Text, Bilder, Zeichnungen, alles in einer Buchform.
F: Die Zeichnungen sind wie eine Erweiterung des Bildes?
L: Die Erweiterung durch die Zeichnungen ist zum Teil lustig und es entsteht auch eine Leichtigkeit. Es ist nicht alles da im Rahmen, es geht noch weiter. Es ist schwierig, Distanz zu fotografieren, durch diese Zeichnungen kann man vielleicht ein solches Gefühl besser entstehen lassen.
F: Was denkst du, was dich künstlerisch beeinflusst hat für deine Arbeit?
L: Eigentlich hat mich mein Leben beeinflusst und natürlich mein Kunststudium. Nach Berlin zu kommen, eine andere Kultur, Sprache, Mentalität kennenzulernen und natürlich die Distanz von zu Hause. Ich glaube, wenn ich nicht weggegangen wäre, dann wäre meine Arbeit ganz anders. Ganz viele fragen mich, weshalb fotografierst du nicht Berlin? Ich finde, dass Berlin schon in meinen Arbeiten ist: von dort aus sehe ich die Sachen. Ohne Berlin wäre das nicht möglich.
F: Das gehört also zusammen: in Berlin sein und auf dein Dorf schauen? In der Arbeit Nicola fotografierst du aber auch in Berlin.
L: Ja, teilweise Aber in der Arbeit "Nicola" geht es um Distanz, um Fernbeziehung, der Ort ist da nicht so wichtig. Es geht oft um Distanz in meiner Arbeit. Das war meine erste Arbeit und wichtig, um diese zweite: A due passi da me zu entwickeln. Da geht es ja dann um eine andere Fernbeziehung, der zur Familie. Die nächste Arbeit wird dann nochmals anders sein, es geht um mein Dorf, das stark verbunden ist mit dem zweiten Weltkrieg, den Partisanen. Und ich habe irgendwann verstanden, dass mir die Rolle zukommt, diesen Ort als Denkmal festzuhalten.
Eine andere Weiterentwicklung ist eine Arbeit, die mehr mit Natur verbunden ist. Ich experimentiere gerade mit einer neuen Technik für die Zeichnungen, ich freue mich schon darauf.
F: Wenn ich dir so zuhöre, spüre ich, dass du wirklich die beiden Orte brauchst. Italien, um zu zeigen, was dir alles wichtig ist und Berlin, um drauf zu schauen.
L: Ja, wenn ich von Berlin nach Italien fahre, dann sehe ich die Dinge deutlicher und reiner, danach verliere ich ein bisschen meine Augen, dann bin ich wieder zu integriert in der Mentalität dort.
F: Was bedeutet denn Berlin für dich? Könntest du auch woanders sein?
L: Ich bin hier steckengeblieben (lacht). In Berlin habe ich mein Fotolabor. Hier habe ich die Möglichkeit zu überleben. Auch wenn ich im Gastronomiebereich arbeite, schaffe ich das. Das wäre in Italien nicht möglich. Dort könnte ich auch kein Labor haben, und das ist für mein Arbeit enorm wichtig.
Im Labor habe ich meine Ruhe. Und beim Printen werden oft Dinge klar, die ich beim Fotografieren noch nicht verstanden habe. Ich beginne nicht mit einem Projekt, wo ich klar weiss, was ich machen will, sondern eher mit etwas, das mich bewegt. Dann fange ich an zu fotografieren und irgendwann, oft im Labor, beginne ich zu verstehen, wieso ich dran bleiben will.
F: Das ist so wie ein Prozess, wo du immer mehr und Neues siehst?
L: Genau und deshalb ist Berlin wichtig für mich.
F: Und du hast immer in Farbe fotografiert?
L: Ja, obwohl ich eine ganz alte Kamera habe. Ich benutze eine Rolleiflex aus den fünfziger Jahren. Das ist so eine Kamera, deren Linsen und Objektive eigentlich für Schwarzweiss gemacht sind und ich benutze sie trotzdem mit Farbfilmen, es gibt so einen speziellen Look, wenig Kontrast, weich, ein bisschen milchig. Ich mag, wenn die Bilder so eine Poesie haben, malerisch sind, und ich versuche das in die Dunkelkammer zu realisieren.
F: Die Kamera, die Geschichten, die Arbeit im Labor: Alles zusammen gibt den besonderen poetischen Charakter der Bilder?
L: Ich glaube schon, sagen wir wie ein Maler, der seine richtige Farbe gefunden hat. Die Arbeit in der Dunkelkammer hat mir schon geholfen, die Farben richtig zu sehen beim Fotografieren. Ich habe verstanden, dass das Licht eine bestimmte Farbe hat und sich immer verändert.
F: Das Bildermachen und -herstellen verändert dann den Blick wieder?
L: Ein bisschen schon. Irgendwie erkennt man die Farbe besser und wie das Tageslicht bei einer bestimmten Oberfläche reflektiert. Es hilft mir auch, diese Sachen mehr zu beobachten. Eine bestimmte Stimmung bekommt man durchs Licht. Wenn man das versteht, weiss man auch, wie man das benutzen kann. Ich fotografiere nicht so oft, ich fotografiere nur, wenn ich an einem bestimmten Ort arbeite. Wenn ich nicht mit meiner Kamera unterwegs bin, dann sagen wir, ich trainiere meine Augen. In der Dunkelkammer und draussen. Schaue das Licht, wie es sich verändert. Abends, mittags, mit Wolken. Wie ein Training. Wenn ich wieder fotografiere, dann merke ich was ich zwischenzeitlich gelernt habe.
F: Mir scheint du hast grosse Freude daran wie sich deine Geschichten und deine künstlerisch formale Ausdrucksweise entwickeln.
L: Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, was ich in meinem Leben überhaupt machen könnte. Es war ein langer Prozess mit vielen Krisen bevor ich überhaupt meinen Weg gefunden habe. Ich bin froh, Geschichten erzählen zu können und zu formulieren, was ich überhaupt wichtig finde. Es muss aber alles unter einer bestimmten ästhetischen Decke sein, es muss für die Augen schön sein und auch einfach zu verstehen.
Was ich schön finde ist auch diese Buchform. Als ich in meinem Dorf das Buch präsentierte, waren fast 200 Personen in diesem Theater. Fast keiner hatte etwas mit Fotografie oder Kunst zu tun, und sie waren alle bewegt. Das ist für mich als Künstlerin superwichtig. Dass ich ein Mittel gefunden habe mit dem ich kommunizieren kann, Menschen bewegen kann.
Ich habe mich nicht entschieden Künstlerin zu werden, ich habe immer schon gezeichnet, dann habe ich in Ravenna Mosaik studiert, ging danach in Bologna an die Uni, ich habe einfach immer weitergemacht, es hat sich so entwickelt.
Gespräch mit Robert Beyer am 15. 9. 2011
F: Wie bist du zur Fotografie gekommen?
R: (Lacht) Ich weiss nicht einmal mehr die Marke meines ersten Fotoapparats. Es war der Kindertag am 1. Mai. Ich war noch ein Kind, acht oder neun. Es war noch zu DDR-Zeiten; da haben meine Eltern mir eine Plastikkamera geschenkt. Knallorange, eigentlich eine Plastikschachtel mit 'ner Linse drin und 'nem Auslöser. Man konnte nicht mal eine Blende einstellen. Es gab auch nur eine Belichtungszeit.
F: Dann hast du mit der fotografiert?
R: Ja und die Bilder gibt es sogar noch. Da habe ich meine allererste Kinderliebe fotografiert, Alexander beim Kleckerburgen (Sandburgen) bauen. Mit Schwänen im Hintergrund. Deshalb tauchen vielleicht immer wieder Schwäne bei mir auf. Das war, glaube ich, mein Einstieg in die Faszination der Fotografie. Mein Vater hat fotografiert, und meine Mutter hat unglaublich schöne Fotoalben gemacht. Also echte Abzüge eingeklebt. Wir hatten nur schwarz-weiss Filme. Farbfilme konnte man sich kaum leisten und wenn, sind die Abzüge jetzt magenta. Ein Film hat damals 30–40 Mark gekostet, soviel wie die Monatsmiete unserer ersten Wohnung gekostet hat. Für mich ist nach wie vor wichtig, diesen haptischen Beweis zu haben. Der möglichst in einem Album klebt oder an der Wand hängt, damit der gegenwärtig ist. Die Alben sind wunderschön. Meine Mutter hat viel dazu geschrieben, kleine Bildchen ausgeschnitten und dazu geklebt. Das sind positive, bejahende Chroniken. Mein Kindheitsbuch, also nur ich, von der Geburt bis 10 Jahre, das ist ein Buch. Man konnte einmal zehn Jahre in ein dickes Buch packen. Man brauchte dafür nicht eine Terrabyte Speicherplatte. Diese Bücher habe ich wahnsinnig gerne durchgeblättert. Insofern war auch immer klar, erlebte Momente wieder Revue passieren zu lassen, das ist wichtig. So habe ich angefangen zu fotografieren. Ich bin sehr aus dem Bauch heraus an die Fotografie herangegangen. Ich habe mich lange Zeit nicht mit Blenden und Belichtungszeiten auseinandergesetzt, sondern habe wild experimentiert.
F: Das Bild hat dich interessiert?
R: Ja, ich wollte den Moment festhalten und mit der Zeit habe ich gelernt, wie man diesen Moment vielleicht auch konkretisieren kann, ästhetisch aufbereiten kann.
F: Es ging dir darum, den Moment festzuhalten?
R: Ja und manchmal verstehe ich die Momente besser, wenn ich die Bilder später sehe oder manche Momente sind für mich eher verfestigt in der Erinnerung, weil dieses Bild da ist. Meine Herangehensweise an meine Arbeit ist so, dass ich zwar weiss, wann die Momente da sind, wo gute Bilder geschehen können. Aber ich beeinflusse meine spontanen Momente. Ich bin relativ manipulativ. Auch wenn die Bilder nach gelebten Momenten zwischen mir und meinem Gegenüber, zwischen mir und meinen Freunden aussehen, so sind es doch kleine Drehbücher, die ich vorher verfasst habe.
I: Du inszenierst eher?
R: Ich inszeniere eher, ja. Ein gutes Bild für mich ist eines, wie Lina es beschrieb, das nach Leben aussieht und nicht nach Inszenierung, aber ich habe eine klare Vorstellung, wie und wo ich die Person sehen möchte. Ich kann jetzt diese Idee haben von Leben oder ich will jetzt diesen schönen Moment festhalten, den wir jetzt zusammen haben, weiss um diesen Moment und gerade dann interessiert mich die Kamera nicht. Ich wiederhole dann diesen Moment, weil ich das Gefühl habe, dieser Moment -ja! Aber jetzt bitte mit diesem Hintergrund und diesem Licht. Das ist für mich der authentische Moment, auch wenn er so gar nicht stattgefunden hat. Wenn ich Glück habe und die Bilder funktionieren, dann sieht es aus wie echt. Ja, ich biege mir meine Realität zurecht.
F: Im Grunde hat es etwas damit zu tun, was ich vorher bei Lina nicht so gut ausdrücken konnte, bei Lina ist es so, dass sie im Moment, in dem sie lebt auch den Moment findet, in dem sie dann fotografiert, und bei dir ist es so, dass du das dann nachher nachstellst.
R: Das ist die hohe Kunst. Diese Vertrautheit wiederherzustellen, so dass die Person, die ich aufnehme, sich vergisst in dem Moment. Die meisten Leute sind enttäuscht, wie ich von ihnen Fotos mache: Scheisse, warum drückst du nicht jetzt ab? Was, die Bilder sind schon gemacht? Diese Bilder sind dann meistens gut.
Wichtig sind mir meine Freunde, mein Freund, meine Familie. Das lebe ich. Das macht für mich Sinn auf dieser Welt. Das muss ich festhalten. Da gibt es durchaus den Moment, in dem ein Bild entsteht. Aber da entsteht dann vielmehr private Fotografie. Das möchte ich nicht zeigen und das funktioniert nur zwischen den Freunden, meinem Freund, Mama, Papa. Das ist dann der Familienschatz, der eben in jenes Album kommt. Das sind private Momente des Glücks.
Bilder, die ich herausgebe - wenn sie auch Lebensfreude und Mut zum Ausdruck bringen - haben eine pessimistische Sicht auf die Dinge. Ich schaue, was 2011 meine Freunde, meine soziale Schicht, meine Berliner oder Schweizer Nachbarn beschäftigt. Das ist nicht immer unbedingt so fröhlich, wie ich gerne sein würde.
Man sieht meinen Arbeiten an, dass ein gewisser Zynismus mitschwingt. Ich habe das Gefühl, dass dieser Zynismus die Wahrheit sein könnte und all das, was man allgemein als wahr oder als gut verkauft bekommt, ist eigentlich zynisch. Ich muss mich betrachten und was um mich herum passiert. Wie verändert sich meine unmittelbare Umgebung, wie verändert sich Berlin, wie verändert sich die Schweiz. Wie leben wir, wie wollen wir gerne leben, wie sehen unsere Häuser aus. Wie hätten wir es gerne und wie sieht es eigentlich wirklich aus.
F: Und was würdest du sagen, was du da siehst, wenn du schaust?
R: Absurde Sachen, kaputte Sachen. Im Grunde genommen, eigentlich nicht das, was wir uns gemeinhin als schön oder echt vorstellen, sondern 'ne Karikatur, 'ne groteske Masse. Ich habe einmal bei Lina gewohnt. In Oerlikon, in einem Altbau, der umzingelt ist von Kästchenbauten. Um ihr Haus positionieren sich jetzt angriffslustig Begrenzungsstäbe, die die Kubatur des neuen Hauses angeben. Das alte Haus wird abgerissen. Wenn man grosszügigen neuen Wohnraum erschaffen will -okay. Aber wenn der dann so aussieht wie die Nachbarhäuser, dann ist das furchtbar.
F: Was zieht dich visuell an?
R: Ich muss mit dieser Hässlichkeit leben. Ich kann sie nicht ausblenden und ich versuche mich daran zu erfreuen. Ich drehe das in meinen Bildern herum. Letztes Jahr, als ich in Bern studierte, habe ich meine Schweiz fotografiert. Da komme ich nach Kölliken und da sitzt ein wunderschönes, silbernes Raumschiff. Obwohl man weiss, das ist die Sondermülldeponie. Klar, die Gegend ist da verhunzt. Andererseits ist die Ästhetik dieser Abräumhalle schön. Wir haben keine Mammutbäume mehr in unseren Wäldern aber Mammutkraken, die letztlich Träger für 'ne Halle sind. Wir werden es uns nicht aussuchen können, wie es um uns herum aussieht. Deshalb versuchen wir, es anzunehmen. Das Schöne darin zu sehen oder unsere Inseln zu finden.
F: Dass dich eine solche Ästhetik auch inspiriert, ein Bild zu machen?
R: Ja genau. Was ich unter manipulativer Dokumentation verstehe, ist, etwas so ins Licht zu rücken, dass es ein Eigenleben entwickelt oder etwas Märchenhaftes. Märchen ist ein gutes Stichwort, damit bin ich auch grossgeworden.
F: Wer oder was denkst du beeinflusst oder inspiriert dich sonst?
R: Das ist eine schwierige Frage. Wenn ich sage, dass ich manchmal eine sehr genaue Vorstellung davon habe, wie ich ein Motiv ins Bild setzen will, bin ich auf der anderen Seite doch sehr impulsiv. Um deine Frage zu beantworten: Ich bin ein lausiger Schüler (lacht). Ich merke mir vieles nicht, auch keine Namen. So funktioniere ich nicht.
Es gibt wichtige Einflüsse. Ich weiss zum Beispiel die erste Musik, die ich wahrgenommen habe, die erste Platte, die ich gehört habe als Kind, war Bilder einer Ausstellung von Mussorgsky. Damals war ich vielleicht drei. So kann es Musik sein, die eine Stimmung transportiert. Wenn wir bei der Musik sind: Ich mag die sperrigen, schwermütigen Russen des späten 19., Anfang 20. Jahrhunderts. Klar, genauso wie ein Juergen Teller interessant ist. Es wirkt wie ein Schnappschuss, so hingerotzt. Auf der anderen Seite ist es aber eine Ikone. Insofern sind diese Bilder wichtig für mich. Bei Teller schätze ich, dass alles so beiläufig aussieht, dennoch sehr durchdacht ist, Arbeit voraussetzt und eine präzise Beobachtung. Anderseits scheue ich mich nicht zu sagen, dass ich LaChapelle interessant finde, denn um den vielleicht tristen Umständen zu begegnen, ist mir Humor sehr wichtig. LaChapelle hat Humor. Genauso wie Sybille Bergemann grossartig war. Genau das Gegenteil von LaChapelle, aber auch sie erschafft unglaubliche Welten mit ihren Polaroids.
Ich lass mich von allem und nichts inspirieren. Freunde sind eine Inspiration. Das Berliner Nachtleben, was ja über den Moment des Clubbesuchs hinausgeht. Ein Gefühl von Techno. Ich habe lange Zeit Parties veranstaltet und einen Club mit betrieben und habe dieses Techno-Ding gelebt mit all seiner Euphorie und seinem Kater am Morgen danach. Sex ist eine gute Inspiration.
Vielleicht verwechsle ich auch Inspiration mit Vorbildern. Ich sperre mich gegen Vorbilder, weil das ein Gefühl auslöst, man bräuchte es nicht mehr zu machen. Ist ja alles da. Und ich will es natürlich machen!