27.5. - 2.7.2011
silvia bächli | eric hattan - hafnargata
27.5. - 2.7.2011
silvia bächli | eric hattan - hafnargata
27.5. - 2.7.2011
silvia bächli | eric hattan - hafnargata
Vier Monate verbrachten Silvia Bächli und Eric Hattan im Frühjahr 2008 in der Hafenstadt Seydisfjördur im Osten Islands. Der Aufenthalt wurde zu einem gemeinsamen Gedankenraum. Die isländische Landschaft prägt als Subtext alle ausgestellten Fotos. Bei einem Blick auf die bei gemeinsamen Ausflügen entstanden Fotografien wirkt die dort abgebildete Welt seltsam zeitenthoben. Eine Welt, in der vermeintlich nichts geschieht, schärft die Konzentration für die Details und lässt Dinge sichtbar werden, die sich der Aufmerksamkeit sonst entziehen. Eine solche Welt lässt „die Schnellen schnell und die Langsamen langsam sein, jeden nach seinem aparten Zeitmass“. (1)
Harriet Zilch
(1) Sten Nadolny, Die Entdeckung der Langsamkeit, München 1983
Silvia Bächli and Eric Hattan spent four months in the small port Seydisfjördur in eastern Iceland during the spring of 2008. Their joint stay in Iceland became a shared space of ideas.
The Icelandic landscape is a subtext which has shaped all the photographs exhibited. Examining the photographs taken on their joint excursions, we see that the world they depict appears oddly lifted out of time. A world in which nothing seems to happen sharpens our concentration on details and allows things to become visible which would evade our attention otherwise. Such a world lets „the quick live quickly and the slow slowly, each by his distinct temporal measure“. (1)
Harriet Zilch
(1)Sten Nadolny, The Discovery of Slowness, Paul Dry Books; Tra edition, 2005.
Silvia Bächli / Eric Hattan: „Hafnargata“ eine Einführung von Eva Kuhn*
Auf der Landkarte bezeichnet „Hafnargata“ eine Strasse im Osten Islands: die Hafenstrasse. Gleichsam als
Fortsetzung der Fährlinie, die vom Festland Europas über die Färöerinseln nach Island kommt, setzt die
Hafnargata am Hafen der Ortschaft Seyðisfjörður ein und führt – dem Fjord entlang zurück – vorbei am Haus,
in dem Silvia Bächli und Eric Hattan während vier Monaten gewohnt und gearbeitet haben. Dann begleitet
die Strasse den Meeresarm über eine weite Strecke in Richtung Osten und läuft einige Kilometer vor dem
Rand des offenen Meeres aus. Genauer: einige Kilometer vor dem Rand des Festlandes trifft die Strasse auf
einen kleinen Fluss und wird durch ihn unterbrochen. Bis dahin reicht ihr Name – danach hat die Linie keinen
Namen mehr. Sie setzt sich fort als schmale Spur, wird immer dünner, verwässert und verliert sich in der
Fläche.
Die Hafnargata war eine Art Leitlinie im isländischen Alltag von Silvia und Eric. Die Strasse führt von ihrem
Haus zum Supermarkt und zur Tankstelle, zum leer geräumten Bücherladen, zum Technikmuseum, ins Café,
zum Hafen und wieder zurück, an ihrem Haus vorbei zur Fischfabrik und weiter. Auf der Hafnargata haben
die beiden ihre Nachbarn öfters gekreuzt, gegrüsst – nach einigen Wochen grüssten die Nachbarn dann auch
zurück. Die Hafenstrasse ist Trägerin vieler ihrer Wege. Mal wird sie zu Fuss begangen, bewandert, später
mit dem Mietauto befahren, mal schneller, mal langsamer – in beide Richtungen orientiert.
Hier im Ausstellungsraum begegnet uns „Hafnargata“ als ein Band von Fotografien, als eine Art ausgerollter
Filmstreifen – der weder als Panorama überblickt, noch von einem Projektor in Bewegung versetzt
wird. Die Bildstrecke entfaltet sich im Raum und hält uns zur Bewegung an – wir gehen dem Band entlang in
diese und in jene Richtung, wir schweifen mit dem Blick über die einzelnen Kader und halten inne, gehen
schneller weiter bis zum nächsten Rast. Die einzelnen Kader des Streifens zeigen Ansichten, Ausschnitte aus
Ort– und Landschaften – zu einem grossen Teil sind die Fotografien in Reichweite der Hafnargata entstanden.
Die Fotografien sind Ausschnitte aus dem Blickfeld der beiden und sind insofern gebunden an ihren
jeweiligen Horizont. Als eine Setzung im Raum und in der Zeit, als eine Art Wegmarke oder Merkmarke
verweist die einzelne Aufnahme auf ein gewesenes Hier und Jetzt im Dasein der isländischen Landschaft
und im Dasein der beiden in dieser Landschaft.
Durch die Reihung der Aufnahmen treten die einzelnen Setzungen in ein räumliches und zeitliches Verhältnis
zueinander – die einzelne Fotografie greift über den Bildrand hinaus und geht mit den benachbarten
Bildern Verbindungen ein. Das Sehen bleibt auch zwischen den Bildern unterwegs und der Zwischenraum,
das Intervall ist aktiv.
Die Fotografien wurden chronologisch angeordnet, entlang ihrem Entstehungsdatum. Sie folgen dem
Lauf des Aufenthalts, dem Lauf der Jahreszeit. Hafnargata ist eine Art Zeitachse. Durch die Windschutzscheibe
schauen wir in Richtung Zukunft und der Rückspiegel reflektiert den Ausschnitt, der vorzu am Verschwinden
ist. Die zeitlichen Lücken zwischen den Bildern sind unterschiedlich gross. Das Band bewegt sich
nicht mit 24 Bildern pro Sekunde, auch nicht mit 7 pro Woche – mal ist es ein Bild pro Tag, mal eines pro Woche,
mal 4 pro 20 km. Die isländische Zeit tickt nicht geradewegs durchs Jahr. In unserer individuellen Bewegung
des Gehens und Blickens setzen sich die fotografischen Fragmente zu einem Grösseren, einem letztlich
imaginären Ganzen zusammen. Eine Art Erzählraum, eine Diegese Island wird eröffnet und diese steht in
einem referenziellen Verhältnis zu Silvia und Erics Aufenthalt. Bemerkenswert ist, dass in der Installation
die einzelnen Momente nicht wie im Film vorzu verschwinden – mit dem Lauf der Zeit –, sondern im Ausstellungsraum
vorhanden bleiben. Hafnargata ist eine Art ausgedehnte Gegenwart, welcher gleichwohl ein zeitlicher
Verlauf eingeschrieben ist – eine Paradoxie aus Stillstand und Bewegung, die sich – so der Vorschlag –
mit der passiven Aktivität eines Wohnens oder eines elementaren Daseins denken lässt.
Beginnen wir von vorne (beim Eingang): Am 1. März 2008: Der Blick aus dem Flugzeug eröffnet die weite
Sicht auf das zugeschneite Island, das sich wie ein Modell unter unserer Bewegung langsam verschiebt. Die
Landung ist mit einem Verlust der Übersicht verbunden. Ähnlich einem Cut–In – ein Begriff aus der filmischen
Montagetechnik, wo von einer Totalen in die Nahaufnahme geschnitten und der Raum gleichsam zersplittert,
der Blick stärker begrenzt und zugleich fokussiert wird – springen wir ins Haus in Seyðisfjörður und
folgen Silvias Blick an die getäferte Decke im grünen Zimmer, in welchem sie die folgenden Monate für ihre
Ausstellung im Schweizer Pavillon der Biennale in Venedig arbeiten wird. Entlang den Kanten der Deckenlatten
wölbt und blättert die dick gestrichene schneeweisse Farbe und lässt das darunterliegende braune
Holz erscheinen – die Übersetzung dieses Anblicks aufs Papier hat die Fotografie bereits vorgenommen.
Dann folgen wir Erics Blick aus dem Fenster des weissen Zimmers. In ihm hat er sich installiert. Wir
blicken auf die leerstehende Weinhandlung auf der gegenüberliegenden Seite der Hafnargata, parallel zu ihr
verläuft der Meeresarm und darüber das andere Ufer des Fjords. Eiszapfen säumen das Dach über dem Fenster
und wirken wie gläserne Wimpern des Bildes. Ein Blick aus einem anderen Fenster des Hauses trifft ins
Leere. Es ist, als blickten wir durch den Sucher auf die Mattscheibe, die – geblendet von Licht und Schnee –
fast nichts mehr auffängt und so sich selbst als matte Scheibe ins Bild rückt. Im nächsten Bild sehen wir das
Nachbarhaus – in ihm wohnt eine blinde Frau.
Die Bewegung da draussen nähert sich dem Stillstand an. Alles ist Stock und Bein gefroren. Ein Auto ist zugeschneit,
immobilisiert, gefroren im Index der Zeit. Die Fotografien lassen bereits Erstarrtes erstarren und
bewahren die Welt wie Eiskristalle in sich auf. Doch dieser Stillstand ist vermeintlich. Eindringlich zeithaltig
ist dieses Dasein der Dinge. Unter dem Schnee wachsen bereits die Knollen und Keime heran – sie sind
wachsam und bereiten sich auf ihren Ausbruch vor. Eric hat mit fixer Videokamera zum Fenster seines Zimmers
hinaus gefilmt und schuf so verschiedene Zeit–Bilder, welche 2008 in Form der Videoinstallation „All
the While“ am Féstival de Création Contemporain in Toulouse erstmals zu sehen waren. Sein Kameraauge ist
hellwach und registriert die kleinste Bewegung. Der Eiszapfen am Rande des Daches löst sich aus dem Bann
der Fotografie und beginnt zu tropfen. Vor dem Hintergrund des Stillstandes sind diese kleinsten Bewegungen
gross. Die Zeit steht unter der Lupe und erscheint als die Kraft, die formend auf die Materie einwirkt. Sie
lässt die Farbe von Wänden und Decken blättern, sie lässt altes Metall rosten, sie bringt das Eis zum Schmelzen,
erzeugt Schmelzwasser, das dann schön und still – türkis – auf der weissen Schneeschicht aufliegt. Man
mag ihnen nicht zu nahe treten, diesen schönen Pfützen – sonst sinkt man ein von Kopf bis Fuss und erstarrt
bei lebendigem Leib.
In Island herrscht kein Rauschzustand, in dem man sich zerstreut. Die Luftfeuchtigkeit ist sehr niedrig und
das führt dazu, dass die Sicht nie diffus, sondern stets klar ist. Die Strassen werden mit Erdwärme geheizt und
bleiben daher schön schwarz und gut zu finden. Im Ausschnitt der Windschutzscheibe erstreckt und windet
sich die Strasse – als schwarze Linie in weissem Grund. In einem der Bilder schneidet sie nach einigen Metern
eine enge Kurve und führt wieder auf die Fahrer und uns zu, dann über den Bildrand hinaus. Silvia spürt
mit dem Pinsel der Linie nach – im Nachhinein, auf dem weissen Papier. Sie geht die Spuren wieder, die sie
oder die Dinge auf dem Schnee oder im Kopf hinterlassen haben und schafft die Spuren neu – im Medium der
Zeichnung.
Der Schnee liegt vor dem, was er versteckt und hinter dem, was vor ihm erscheint: die rote Hauswand,
das grüne Dach, der braune Vogel – stets im Kontrast zum flächigen Weiss, das als Grund auch die Verbindung
zwischen den Dingen und die Verbindung zum Grösseren herstellt. Die Dinge sind bei sich, klar konturiert,
vor dem Hintergrund des Ganzen. Im Bildfeld der Fotografie – welches im Kino auch Kasch genannt
wird, von französisch „caché“ – ist ein Schneefeld wie eine Öffnung, vor der etwas ins Licht treten kann oder
ein Zwischenraum, in den etwas hineinragt. Überdeckt der Schnee das Bildfeld ganz – so ist die Fotografie
wie weisses Rauschen oder: leeres Papier – vor dem ersten Strich ist alles noch möglich. Als es ein bisschen
wärmer wurde, entstanden braune Erdflecken. Der Schnee legt stellenweise frei, was über Monate unter ihm
verborgen war und das Verhältnis von Figur und Grund kehrt sich um – das Braune ist der Boden und das
Weisse ist Figur. Jetzt werden die Schafe herausgelassen, denn auf den Erdflecken finden sie Futter – so weiden
sie als bräunliche Knäuel vor braun und weiss geschecktem Hintergrund.
Der Schnee schluckt nicht nur Bewegung und die Dinge, sondern auch Geräusche. Und vor dem Hintergrund
der Stille zeichnet sich das Geräusch umso deutlicher ab, so dass nie Stille ist. Diverses Schnee–Knirschen
unter den Füssen, die Reifen der Autos von Arbeitern der Fischfabrik, der überkochende Wasserkocher oder
Isländisch aus den Fernsehnachrichten oder im Supermarkt. Verstehen konnten sie davon kein Wort: Doch
hören. Diese Geräusche werden gross. Und als im April mit einem Monat Verspätung endlich das Schiffshorn
erschallt und die Fähre vom Kontinent im Hafen von Seyðisfjörður einläuft, so ist dies ein mächtiges Ereignis.
Arbeitsabläufe werden in Gang gesetzt und ab jetzt kommt die Fähre jede Woche. Auch das Postauto fährt
wieder regelmässig. Der schmelzende Schnee löst Lawinen aus und setzt Unmengen von Wasser frei, das sich
über den Hängen ergiesst. Die Jahreszeit gerät in Schwung, die Nacht kommt nur noch kurz. Überall rinnt es
und sprudelts, Lupinen und neongrüner Moos überziehen die kargen Ebenen und schaffen neue Kontraste,
Flechten und andere Farbflecken zeichnen sich auf den Oberflächen ab.
Die Rhabarber entfaltet ihre rot–grünen Blätter und wächst bis auf Augenhöhe – man könnte ihr beim
Wachsen zusehen. Doch Silvia und Eric ziehen weiter – der Radius ihrer Ausflüge wird grösser. Sie suchen
nach dem leerstehenden Haus, das ihnen von der letzten Islandreise in Erinnerung ist – und finden es
schliesslich auf. Im Innern steht noch immer: ein Tisch aus Holz. Hier wohnt er schon seit Jahren, Jahrzehnten
und empfängt wohl hin und wieder Gäste, wie jetzt. Einst wurde er bunt gestrichen – von Menschenhand.
Und seither arbeiten Zeit und Licht an ihm weiter. Die Farbpigmente verblassen allmählich – das Rot und
Grün verwässert – und mit dem Verlauf des Tageslichts, das rund ums Jahr durchs Fenster dringt, verändert
sich seine Gestalt.
* Eva Kuhn ist Film- und Kunstwissenschafterin am Kunsthistorischen Institut der Universität Basel